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Wohlstand – kein Thema für die Raumpolitik Schweiz?

Die Zeit von 1960 bis 2010 war geprägt von einem weltweit unbeschreiblichen Wohlstandszuwachs. Der überproportionale Gewinner hiess Europa.
In der Schweiz lag der Wohlstandszuwachs gar noch höher. Das aufgrund der auf breiter Front überproportional angestiegenen Immobilienpreise und der jährlich unsagbar hohen anfallenden Erbschaften. Gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung betragen sie 12%. Ein weiterer Grund ist die Intervention der Notenbank und damit die Stärkung der wichtigen Exportindustrie.
Die Exportwirtschaft nutzte diese hervorragenden Vorteile und behauptete damit ihre Konkurrenzfähigkeit.
Es wäre naheliegend zu glauben, dass dieses einmalig gute Umfeld auch die binnenwirtschaftliche Prosperität und damit die Zentrumsgebiete zum Blühen brachte. Dem ist leider nicht so. Die Schweizer Zentrumsgebiete in Städten unter 50’000 Bewohner*innen entwickelten sich in diesen 50 Jahren nämlich nicht zum Guten.

Man liess es geschehen, dass im 2010 fast die Hälfte des stationären Detailhandels Versorgungsanbieter in den Bereichen Food und Non Food ausserhalb der Siedlungsgebiete stationiert sind. Entsprechend erlebten die Zentrumsgebiete einen deutlichen Abbau der Angebotsvielfalt, Umsätze und insbesondere der Marktanteile und der Produktivität sanken stark. Für alle deutlich sichtbar wurde die abnehmende Kundenzahl und Belebungsdichte. Nach 2010 beschleunigte sich diese Entwicklung zusehends. Detailhandelsumsätze verlagern sich zunehmend in den Online-Verkauf. Die anfangs des neuen Jahrzehnts einsetzende Virusbedrohung verlangte nach fast totalen Kontakthemmnissen und führte gar zu temporären Schliessungen. Die davon für die Belebung der Zentrumsgebiete unerlässliche Kontaktwirtschaft löst sich zu bedeutenden Teilen auf.

Die Qualitäts- und und Bedeutungsabnahme der Zentrumsgebiete ist längst nachvollziehbare Tatsache geworden. Von Bundesämtern, der Politik und der Wirtschaftsverbände wird sie scheinbar kaum wahrgenommen. Oder wird sie einfach nur hingenommen? Denn Taten folgen keine.
Was haben unsere weltberühmten Universitäten und die Technische Hochschule Zürich, ETH sowie die vielen Fachhochschulen der Schweiz dazu beigetragen? Nichts! Dabei ist unsere renommierte ETH durchaus im City-Management tätig. Aber eben nicht in der Schweiz, sondern in Asien, genauer in Singapur.
Welche Forderungen und Aufträge an die Verwaltung kamen von der Politik? Inwiefern haben die Wirtschaftsverbände mit Lösungen beigetragen?
Die beste alle Zeiten reichte offenbar nicht aus, die Attraktivität der Zentrumsgebiete auszubauen oder zumindest zu halten. Einzig Corona-Gelder wurden und werden verteilt. Die Raumpolitik Schweiz aber hat versagt.
Die Welt hat sich verändert, die Anforderungen an die Zentrumsgebiete ebenso. Nur nachbessern genügt nicht. Neue Qualitäten der Zentrumsgebiete sind unumgänglich. Eine davon betrifft die ansässige Wirtschaft. Sie muss ein Umfeld erhalten, das dazu beiträgt, die Wertschöpfung zu erhöhen und Anreize aufweist, die eine Neuausrichtung der Kontaktwirtschaft erleichtern.

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Der Gesundheitsmarkt legt im Online-Handel zu

Die Online-Plattformen im Gesundheitsmarkt rüsten auf. Als erstes angepeilt wird der rezeptfreie Drogeriemarkt. Aber auch die Anzahl der für den Online-Handel zugelassenen Arzneimittel steigt. Damit werden die heute rund 500 stationären Drogerien und die rund 1’800 Apotheken geschwächt. Gesamthaft ist der Gesundheitsmarkt systemrelevant sowohl für die Grundversorgung als auch für die medizinische Versorgung. Im Schnitt werden Apotheken 11 mal pro Jahr von Einwohnenden besucht. Ein zu erwartender Umsatzverlust von 10 bis 20% in den nächsten fünf Jahren stellt sie vor enorme Herausforderungen. Das Sparpotential ist gering, weshalb Geschäftsaufgaben zu erwarten sind.

In urbanen Gebieten trägt der Gesundheitsmarkt viel zur Passanten-Frequenz bei. Gemessen an der Geschäftsgrösse haben Apotheken die höchste Flächenproduktivität und die höchste Kundenzahl. Apotheken verzeichnen jährliche Kundenfrequenzen zwischen 50’000 und 100’000. Darauf können Zentrumsgebiete nicht verzichten.

In ländlichen Gebieten gehört das Gesundheitsangebot nebst dem Lebensmittelangebot zur Grundversorgung.

Der stationäre Gesundheitsmarkt wird vor allem Inhaberbetriebene Standorte verlieren, das gilt für städtische und ländliche Gebiete. Generell zunehmen wird die Filialisierung. In ländlichen Gebieten werden Standorte dann eliminiert, wenn sie nicht zumindest 6’000 bis 7’000 Wohnende bedienen können.

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Online-Handel im Bekleidungssektor vor Wachstumssprung

Das Angebot an Bekleidung bestimmt die Attraktivität der urbanen Zentrumsgebiete in hohem Masse. Es bietet attraktivste Schaueffekte, trägt bei zur Flanierqualität sowie zu emotionalen Kaufhandlungen und zieht vor allem das weibliche Publikum in Bann. Auch für den Online-Handel ist Bekleidung ein wichtiges Marktsegment mit wachsender Bedeutung. Er bedrängt damit den stationären Detailhandel in den Zentrumsgebieten.

Im Oktober 2015 haben wir erstmals darauf hingewiesen (siehe Input-Letter Nr. 63). Unsere Prognose von damals war: Das stationäre Bekleidungsangebot wird bis im 2020 einen Umsatzverlust von 15 bis 20% verzeichnen. Heute sehen wir, dass wir zu optimistisch waren. Der Rückgang lag sogar nahe bei 25%. Die durch die Corona-Pandemie geschaffenen Kontakthemmnisse waren geradezu der Treiber für den Online-Handel. Heute wird jeder vierte Bekleidungseinkauf per Mausklick getätigt. Oder anders ausgedrückt: Für einen Viertel der Bekleidungseinkäufe braucht es den Zentrumsbesuch nicht mehr.

Jetzt steht bereits der nächste Umsatzschub für den Online-Bekleidungshandel bevor. Virtuelle Umkleidekabinen gestalten die Anprobe zu Hause attraktiver und die Käufe werden personalisiert getätigt. Damit könnte sich der heute sehr hohe Retour-Anteil der bestellten Kleider verringern. Bekleidungs-Plattformen werden dadurch rentabler. Es ist damit zu rechnen, dass 2025 über 40% der Bekleidungs-Einkäufe über Online-Kanäle erfolgen wird.

Zwischen den Jahren 2015 und 2025 verlieren die Zentrumsgebiete im Bekleidungssektor eine Verkaufsfläche von rund 400’000 m2. Das ist eine enorme Herausforderung für alle Akteure. Vermieter, Nutzer und die Öffentliche Hand sind gefordert.

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Die urbane Kontaktwirtschaft wird fehlen

Die Corona-Krise führte zu einer massiven Abnahme von persönlichen Kontakten. Insbesondere betroffen ist davon die Kontaktwirtschaft mit urbanen Standorten. Wenn Kontakte aber erschwert oder gar unmöglich sind, werden Non Food-Güter nicht mehr stationär eingekauft.

So ist beispielsweise Fashion ein wichtiger Teil der Kontakt- und der Kreativwirtschaft. Bekleidung, Schuhe, Taschen und Accessoires sind hoch emotional, tragen am meisten zum Flanier- Einkaufserlebnis bei und sind damit die wichtigste Angebotsgruppe der urbanen Gebiete. Vieles davon verlagert sich nun ins Internet. Mode ist der wichtigste und beliebteste Umsatzträger im Online-Verkauf. Wer dort nicht bereits Kunde war, wurde es Pandemie-bedingt.

Corona ist der Treiber zum Online-Einkauf, speziell im Bereich Bekleidung. Die Post meldet Rekordstückzahlen an Einkaufs-Paketen. Die Zahl der Mitarbeitenden im weltweit grössten Versandhändler «Amazon» nimmt um 2800 Personen zu, pro Tag, und das bereits seit Juni 2020. Zum Jahresende 2020 arbeiteten insgesamt 1,2 Mio. Mitarbeitende für den Versandhändler.

Wir müssen uns warm anziehen, wenn immer möglich stationär eingekauft. Eisig kalt wird es einem, wenn man die Programme zur Stärkung der urbanen Gebiete sucht, man findet sie nicht. Kritik zur Perspektivenlosigkeit? Fehlanzeige! Die urbanen Gebiete schauen tatenlos zu, wie sich der stationäre Handel zu den grossen Online-Anbietern verlagert.

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Kontakte verringern mit kürzeren Geschäftszeiten?

Noch nie war die Nachfrage nach Lebensmitteln in der Schweiz so gross wie heute. Das hat Corona-bedingte Gründe. Noch nie lebten so viele Menschen gleichzeitig in der Schweiz und hielten sich derart lange in ihrem Wohnumfeld auf. Auswärts essen geht nur noch via Take-Away, der nahe Auslandeinkauf ist teils erschwert, gekocht wird wieder zu Hause. Das führt zur grössten je dagewesene Versorgungsnachfrage der privaten Haushalte. Das gilt insbesondere für Lebensmittel und Alltagsgebrauchsgüter. Sie werden fast ausschliesslich stationär eingekauft. Das erfordert unweigerlich mehr und längere Einkäufe. Ausweichen kann man nicht, die Geschäftskontakte können nicht verringert werden.

Jetzt werden die Geschäftszeiten reduziert. Das führt nicht zu weniger Kontakten, wohl aber zu weniger Abstand.
Anstatt Perspektiven aufzuzeigen, wie die Kontakte abnehmen, wird das gesamte Land gezwungen, sich vermehrten Kontakten auszusetzen.

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Wie dringend braucht die Schweiz die Wirtschaft und ihre Informationsquellen?

Die urbanen Versorgungsangebote stehen vor dem grössten je erlebten Aderlass. Gegenwärtig werden immense Ressourcen an Kapital, Kompetenz und Angebotsvielfalt vernichtet. Das wird unweigerlich zu tieferen Steuereinnahmen und höheren Sozialleistungen führen. Gesamthaft wird die Qualität des Schweizer Lebens- und Arbeitsraums und der Wohlstand breiter Kreise massiv geschwächt werden. Und ausgerechnet in dieser für die grosse Mehrheit in der Schweiz schwierigen wirtschaftlichen Zeit streicht das Schweizer Fernsehen das beliebte Wirtschaftsmagazin «Eco» aus dem Programm und macht daraus einen wöchentlichen Talk.

Dabei ist gerade jetzt ein Sendegefäss gefragt, das die brennenden Fragen der urbanen Gebiete journalistisch aufarbeitet und einordnet. Themen gibt es zuhauf: Wie sollen die urbanen Gebiete ihre neuen Qualitäten und Erfolgspositionen erreichen? Wie soll sich die gesamte Versorgungs- und Kulturbranche neu ausrichten, wie baldmöglichst wieder die frühere Produktivität und Kreativität erreichen? Wie soll sich die Kontaktwirtschaft auf künftige Schockereignisse einstellen?
Die breite Öffentlichkeit und rund 200’000 betroffene Unternehmer und Unternehmerinnen mit rund 600’000 Mitarbeitenden wollen sich informieren und Zusammenhänge verstehen, viele bangen um ihre Existenz.

Ob das geplante Wirtschafts-Talk-Format diesem Anspruch auch gerecht werden kann, wird sich erst zeigen müssen.

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Corona- Geldregen

Die aufgrund der Corona-Krise ausgeschütteten Direktzahlungen haben viele Wirtschaftakteure der urbanen Gebiete gestützt. Weil diese Gelder aber ungeprüft alle Nachfrager bedient haben, wirken sie wie Helikoptergeld. Scheinbar gerecht und für alle gleich. Dieses Helikoptergeld ist zwar ein wichtiger Grund dafür, dass sich die Lokalwirtschaft nicht in noch grösserem Masse aufgelöst hat. Aber für bereits Kranke bedeutet es lediglich ein Überleben auf Zeit. Für Gesunde reicht es nicht aus für eine nachhaltige Zukunftssicherung. Auch eine längere Kurzarbeitszeit verhindert einen notwendigen Strukturwandel. Die Absicht sollte aber sein, die Geschäftsmodelle mit den besten Perspektiven zu fördern. Sie sind es, die den Wohlstand der Schweiz nachhaltig sichern. Deshalb sollten weitere Geldzuschüsse, falls notwendig, dafür eingesetzt werden. Hier besteht ein Handlungsfeld für ein Urban- und Wirtschaftsmanagement.

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Gewinner der eingeschränkten Auslandmobilität

Die durch das Corona-Virus eingeschränkte Auslandmobilität ist für viele Betriebe in der Schweiz existenzbedrohend. Der Ferien- und Geschäftstourismus mit ausländischen Gästen ist komplett eingebrochen. Damit fehlen die üblichen 27 Millionen Übernachtungen grösstenteils.

Aber es gibt auch Gewinner, nämlich die Schweizer Binnenwirtschaft. Denn die üblicherweise rund 150 Millionen Übernachtungen von SchweizerInnen im Ausland fallen ebenfalls zum grössten Teil weg. Diese verbringen nun mehr Zeit in der Schweiz, und sie verfügen über eine hohe Kaufkraft. Wer die neuen Bedürfnisse bedienen kann, gewinnt. Das gelingt, wenn sich alle Anbieter einer Innenstadt vernetzen, im Verbund neue Angebotsmodule entwickeln und interaktiv über die Nachfrage im Austausch sind.

Leider wird das in der Realität noch nicht gelebt, weil die Plattformökonomie noch nicht genutzt wird (swiss-engine, UrbanTools).
COVID-19 vernichtet unglaublich viele Ressourcen. Also schaffen wir zum Ausgleich Neue.