Input 20-15: Aussenräume werden zum Erfolgsfaktor urbaner Gebiete

Am 9. Februar 2020 entscheidet der Kanton Zürich über ein kombiniertes Verkehrsprojekt im Quartier Wipkingen. Die Rosengartenstrasse soll mit einem Strassentunnel entlastet werden und eine neue Tramverbindung ermöglichen. Der Individualverkehr soll dadurch nicht ansteigen, aber flüssiger werden. Aus heutiger Sicht betragen die Kosten CHF 1,1 Milliarden, die Planungs- und Bauzeit beträgt rund 15 Jahre. Die Befürworter pochen auf eine  Aufwertung des Stadtraums. Je nach Aussage betrifft die Massnahme 700 oder 1300 Meter.

Die Stadt Zürich hat insgesamt 230 km Strassen mit einem Lärmpegel, der über dem Immissionsgrenzwert liegt! Soviel Geld weckt Begehrlichkeiten, damit lässt sich viel bewirken. Stellen wir uns vor, der Stadt Zürich stünden CHF 1,1 Milliarden für ein Aufwertungsprogramm zur Verfügung, dank dem in fünfzehn Jahren ein spürbarer Mehrwert für möglichst viele Bewohner, auch Arbeitstätige, ermöglicht würde.

Gehen wir mal davon aus, dass dieses Aufwertungsprogramm auf die Aussenräume setzt. Wo immer möglich, sollen private und öffentliche Aussenräume attraktiver werden. Aufgewertet wird dort, wo die privaten Immobilieneigentümer am Kostenteiler zu gleichen Teilen partizipieren. Somit verdoppeln sich die Investitionen auf CHF 2,2 Milliarden. Das sind rund 5000 Franken pro EinwohnerIn.

Stellen wir uns weiter vor, dass, anders als es in der Regel der Fall ist, andere Schweizer Städte mit Zürich mitziehen würden. Viele Städte setzten die gleichen Beträge ein, immer gemessen an der Einwohnerzahl. Das ergäbe z.B. für die Stadt Winterthur CHF 550 Millionen, für Luzern CHF 460 Millionen, für St. Gallen 380 Millionen, für Frauenfeld CHF 320 Millionen, für Biel CHF 275 Millionen, für Thun und Köniz je CHF 210 Millionen, für Chur, Schaffhausen und Uster je CHF 170 Millionen, für Zug CHF 150 Millionen, für Aarau und Wettingen je CHF 105 Millionen, für Glarus Nord, Reinach/BS, Schlieren, Solothurn und Thalwil je zwischen CHF 80 bis CHF 100 Millionen, für Burgdorf, Herisau, Horw und Schwyz je zwischen CHF 60 bis CHF 80 Millionen, für Davos und Sursee je zwischen CHF 50 bis 60 Millionen sowie für Huttwil CHF 24 Millionen.

Die besten Köpfe und Firmen mit vielen Kompetenzen würden in die Projekte eingebunden. Mit Leistungsbereitschaft und Kreativität würden die Aussenräume zum Erfolgsfaktor: identitätsprägend, nutzungsflexibel, leistungsstark, ressourcen- und funktionseffizient, natur- und klimagerecht. Viel Mehrwert für viele Menschen. Willkommen in der urbanen Schweiz im Jahr 2035!

Kommen wir zurück in die Realität des Jahres 2020.

Wie das Zürcher Stimmvolk über die CHF 1,1 Milliarden für den ganzen Rosengarten-Tunnel abstimmt, zeigt sich am Abstimmungssonntag.

Sicher ist nur eines: Die Abstimmung wird stattfinden.

Input 20-14: Eines der bedeutendsten Innenstadtmagnete ist Vergangenheit

In wenigen Tagen ist es Tatsache: Das auf das mittlere Preissegment ausgerichtete Warenhaus Manor an der Bahnhofstrasse in Zürich schliesst seine Türen. Damit verschwindet aber nicht einfach irgendein zusätzliches Geschäft. Entsprechend einer repräsentative Befragung im Sommer 2019 durch das GfK, ist Manor das beliebteste Einkaufsziel der Innenstadt von Zürich im Non-Food-Bereich. Folglich könnte sich die Frequenz an der Bahnhofstrasse mit der Schliessung halbieren.

Schon 2019 beklagte jeder zweite Befragte einen Mangel an Geschäften im mittleren Preissegment. Markus Kündig, Sekretär der Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse, bedauert den Wegzug zwar. Aber die Besucherfrequenzen werden nicht zurückgehen, weil anstelle von Manor etwas Neueres entstehen werde. Und der Detailhandelsexperte Gotthard F. Wangler meint, viele kämen heute wegen Uhren und Schmuck an die Bahnhofstrasse. (9. Juni 2019, 20Minuten).

Wir werden es erleben. Kein Innenstadtgeschäft in der deutschen Schweiz erzielt mit Non-Food einen höheren Umsatz oder eine höhere Besucherfrequenz als es Manor an der Bahnhofstrasse tat. Eintritts- und Aufenthaltsbarrieren gibt es nicht. Fünf- bis zehntausend GeschäftsbesucherInnen gingen ein und aus. Und dies nicht pro Jahr, sondern täglich. Für diese Frequenz reichten 40 Meter Strassenanbindung. Diese Bündelung der Frequenz ist nicht auch nur ansatzweise durch etwas anderes zu ersetzen.

Die Bahnhofstrasse repräsentiert die Stadtmitte von Zürich. Sie bedient mehr als nur eine Label-affine Nachfrage aus nah und fern. Sie bedient auch zehntausende Arbeitstätige und eine Million EinwohnerInnen im näheren Einzugsgebiet. Sie kaufen nicht alle fünf Wochen eine neue Uhr. Schon gar nicht im vier- und fünfstelligen Franken-Bereich.

Der Schliessungsgrund von Manor ist die Anhebung der Miete um das Dreifache (!). Von jährlich CHF 6 auf 18 Millionen. Das Delta zwischen der möglichem Warenhausmiete und der Markmiete ist derart hoch, dass Rezepte fehlen, die den Erhalt von Manor rechtfertigen.

Die Ironie der Geschichte ist: Der Detailhandel hat viel zur Standortattraktivität der Bahnhofstrasse beigetragen. Jetzt muss er weichen, weil die Preise ins Unermessliche steigen.